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Ein Plädoyer für die Wut

Wann waren Sie das letzte Mal so richtig wütend? 

Und wann haben Sie das Gefühl für alle sichtbar gezeigt? 

Negative Emotionen, wie Wut, Ärger, Zorn oder Aggression, gibt es seit Beginn der menschlichen Existenz.

Diese entstehen im limbischen System, einem evolutionär älteren Bereich unseres Gehirns. Die Amygdala ist verantwortlich für eine große Bandbreite an Emotionen, gilt als Schaltzentrale für die Gefühle Angst und Wut und verarbeitet Reizinformationen von Augen und Ohren.

Die Wut entsteht im Laufe unseres Lebens auf unterschiedliche Art und Weise. 

Während kleine Kinder die Trotzphase als wichtigen Baustein zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit brauchen, gibt es bei Erwachsenen unterschiedliche Auslöser, wie Ungerechtigkeit, Respektlosigkeit, Angriff auf die eigene Persönlichkeit, Enttäuschung, unangemessene Kritik, Verletzung des Selbstwertgefühles oder Überforderung. 

Lassen wir unserer Wut freien Lauf, so setzen wir Energie frei. Atem- und Pulsfrequenz steigen an, ebenso wie unser Blutdruck. Die Muskeln spannen sich an, Blutgefäße verengen sich.

Durch den erhöhten Blutdruck schottet sich das Gehirn von Außenreizen ab. Es entsteht eine differenzierte Wahrnehmung, die sachliche Argumente manchmal ausblendet.

Das Gefühl der Wut ist gesellschaftlich in Nord- und Mittel-Europa nicht immer anerkannt

Aufgrund der in unserer Gesellschaft negativ bewerteten Verhaltensweisen sind Menschen nicht immer dazu bereit, zu ihrer Wut zu stehen, sie zu zeigen oder darüber zu sprechen. Dabei steht der Ärger in erster Linie für die Beseitigung eines Hindernisses, er vermindert unsere Angst und setzt Energien frei. Somit bewirkt Wut in kontrollierter Form etwas Positives.

In anderen Gesellschaften, z.B. im Mittelmeer-Raum, in Ost-Europa oder Latein-Amerika ist Wut zumindest für Männer auch im geschäftlichen Kontext durchaus gesellschaftsfähig. 

 

Als Kinder lernen wir, dass „es sich nicht gehört“, seine Wut rauszulassen und wir entweder schön brav und vernünftig sein sollen oder bestraft werden. Mädchen eher als Jungen,

bei Letzteren wird ein Wutausbruch schon mal toleriert.

Über Emotionen zu sprechen ist dabei ein wichtiger Lernprozess in der Kindheit. Es ist wichtig, dass Eltern die Gefühle ihrer Kinder zulassen, und gemeinsam mit ihnen erörtern, woher diese Emotionen kommen und was sie bewirken. Oft verlernen wir genau in diesem Entwicklungsstadium, darüber zu sprechen. Auch unser Umfeld spielt in der Kindheit eine entscheidende Rolle und zeigt anhand von Reaktionen wie Schimpfen oder Maßregeln, dass es besser sein kann, Gefühle zu unterdrücken. Dies setzt sich im Bewusstsein fest. Als Erwachsene haben wir dies verinnerlicht und befürchten später, für unsere negativen Gefühle als unkontrolliert oder hysterisch abgestempelt zu werden.

Unterdrückte Gefühle schädigen Körper und Psyche

 

Das Gefühl verschwindet nicht einfach, sondern kann sich nach innen richten. Wir zeigen nach außen Coolness oder ein Pokerface und innerlich brodelt es. Gefühle zu unterdrücken, kostet Energie.  Vielleicht zeigen wir ein anderes Gefühl, das uns in der Kindheit erlaubt war: 

  • Traurigkeit statt Wut, denn Tränen sind vor allem Mädchen eher erlaubt. 
  • gequälte Freude in Form eines gezwungenen Lachens „Indianer kennt keinen Schmerz“. 
  • Ohnmacht und Hilflosigkeit als Ausdruck eines unbewussten inneren Spannungsfelds „Ich bin wütend, darf es aber nicht zeigen“. 

 

Diese „Anstatt-Gefühle“ nennt man in der Psychologie Ersatzgefühle. Ersatzgefühle sind die Gefühle, die anstatt des Grundgefühls in unserem familiären Kontext erlaubt waren. Sie sind aber nicht echt, weil sie für die Situation nicht angemessen sind. 

 

Auf lange Sicht machen unterdrückte Gefühle krank. Das Immunsystem schwächelt und wir werden anfälliger für Infekte. Darüber hinaus können unterdrückte Gefühle körperliche Stressreaktionen aller Art auslösen: erhöhter Bluthochdruck, Diabetes, Herzerkrankungen, Nierenschäden, Magenprobleme. Bevor es also zu einer chronischen Erkrankung kommt, sollten wir lernen, mit unseren Gefühlen umzugehen – vor allem negative Emotionen zuzulassen.

Das Grundgefühl Wut hat wie jedes Gefühl zwei Seiten, es kann positiv genutzt oder missbraucht werden. Wir reden hier also nicht vom notorischen Choleriker, der sich durch unangemessene Wutausbrüche regelmäßig an seinem Umfeld abreagiert.

Wenn wir uns den Ursprung und den Nutzen näher ansehen, dann ist Wut das Gefühl der

Grenz-Setzung und Grenz-Veränderung (des Durchsetzens eigener Ansprüche) und das Gefühl der notwendigen Klärung. Es geht also darum, Differenzen zu klären und eigene Interessen und Positionen durchsetzen zu können. 

Was passiert, wenn wir uns im beruflichen Kontext nicht abgrenzen können? 

Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihren Ärger angemessen auszudrücken 

haben es im beruflichen Kontext schwer, ihre Interessen durchzusetzen oder Grenzen aufzuzeigen. 

Wenn Situationen, wie die folgenden häufiger vorkommen, ist Reflexion und eine Veränderung des Verhaltens sinnvoll:

  • gleichrangige Kollegen oder die eigene Führungskraft verhalten sich respektlos, übergriffig
    und verletzen das Selbstwertgefühl
  • in einem Meeting wird die eigene Meinung öfter übergangen oder nicht gehört
  • die Kollegin nimmt sich wie selbstverständlich in jedem Jahr die Brückentage 
  • Mitarbeitende und Kollegen übertreten häufiger unsere inneren oder äußeren Grenzen
  • Die Führungskraft kommt mit Zusatzarbeiten grundsätzlich zu uns,  da sie es mit uns
    leichter hat. wir sagen nicht nein, weil wir gemocht werden wollen und schlecht nein sagen können 

Wer seinen Ärger nicht äußert, sich dadurch Respekt verschafft und immer Pokerface zeigt, wird zur Projektionsfläche der anderen und lädt zu Grenzverletzungen ein.

Wer Wut unterdrückt und nach innen richtet, hat mittelfristig körperliche oder psychische Symptome.

 

Deshalb arbeite ich mit Führungskräften im Coaching daran, 

  1. sich bewusst zu machen, wie Gefühle in der Ursprungsfamilie gelernt wurden und was erlaubt und nicht erlaubt war - durch die Bewusstheit entwickelt sich ein Verstehen für eigene Muster
  2. sich darüber klar zu werden, welche Konsequenzen es für die berufliche Rolle und/oder für die Gesundheit hat, wenn Ärger permanent unterdrückt wird,
  3. im ersten Schritt zu üben, eigene Gefühle auszusprechen
    „ich bin ärgerlich“ / „das ärgert mich“ / „das kommt nicht in Frage, das will ich nicht“ /
    „das macht mich jetzt wütend“. Meistens erstmal im Coaching mit unterschiedlicher Lautstärke und Betonung, und dann zu Hause vor dem Spiegel, bis es sich stimmig anfühlt.  
  4. Dies im beruflichen Kontext auszuprobieren und zu reflektieren, um den eigenen Stil zu finden

Ein Plädoyer für die Wut und den Ärger

Ich formuliere an dieser Stelle ein Plädoyer dafür, seiner Wut oder seinem Ärger für die Wahrung innerer und äußerer Grenzen und für die Durchsetzung eigener Interessen und Bedürfnisse öfter Ausdruck zu verleihen.

Seien Sie mal wieder wütend und lassen Sie die anderen wissen, dass Sie wütend sind und warum! Sie werden sehen, es geht Ihnen auf Sicht körperlich besser und Sie gewinnen Respekt.

 

Sie haben Fragen oder Anmerkungen? Ich begleite Sie und Ihr Team gern !