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Doppelwirklichkeiten und Doublebinds in Organisationen


Doublebinds sind - vereinfacht gesagt - doppeldeutige sich widersprechende Botschaften, die im privaten Umfeld, in Familien und in Unternehmen / Organisationen häufig anzutreffen sind.

Der Begriff doublebind wird im Deutschen kontextabhängig mit Doppelbotschaft oder Beziehungsfalle übersetzt. Zugrunde liegt oft eine verdeckte Kommunikationsebene, die der Botschaft eine Doppeldeutigkeit und damit eine Doppelwirklichkeit verleiht.


Das klassische Doublebind-Muster

In der Kommunikation werden Botschaften auf der verbalen und nonverbalen Ebene übermittelt. 

Mimik, Gestik und Tonfall geben der verbalen Botschaft einen Rahmen.

Die nonverbalen Signale sind dabei wichtiger als die verbalen, denn sie signalisieren dem Empfänger, wie er die Botschaft zu verstehen hat. Paul Watzlawick beschreibt dies als "die Beziehung definieren". 

Wenn jemand z.B. lacht, wenn er etwas Trauriges erzählt, sind verbale und nonverbale Kommunikation nicht stimmig, denn die traurige Botschaft wird durch die Körpersprache negiert. Das nennt sich auch paradoxe Kommunikation. 

Ein weiteres Beispiel: Die Führungskraft lobt einen Mitarbeitenden im gemeinsamen Meeting:

"Ja, Finn, das war schon nicht schlecht", der Tonfall ist spöttisch und sie verdreht die Augen dabei.

Finn hat wirklich eine gute Leistung erbracht, er wird dieses Lob, das eher ironisch rüberkommt,
nicht als solches annehmen können, denn er spürt die Abneigung in der Körpersprache.
Und andere tun es übrigens auch.


Einige Regeln, wie Doublebinds in Systemen funktionieren können

Da diese Kommunikationsmuster selten bewusst eingesetzt werden, sind die Beziehungsstrukturen
innerhalb der familiären Systeme oder Organisations-Systeme weitgehend unbewusst.

  1. Nicht der Einzelne bestimmt die Spielregeln, alle sind dem Muster gleichermaßen unterworfen.
    Da nur wenige Menschen paradoxe Kommunikationsmuster bewusst einsetzen, werden diese Regeln intuitiv und unbewusst befolgt.
  2. Negative Gefühle dürfen nicht sein. Wenn Du sie dennoch fühlst, leugne sie.
    Sicherheit wird dann empfunden, wenn sich alle möglichst ähnlich sind und möglichst ähnlich empfinden. Unterschiedlichkeit wird als Gefahr für die Harmonie des Familiensystems oder Organisationsrahmens empfunden. Wenn in einem Unternehmen bisher selten extern eingestellt wurde, wird der von außen kommende Neue als Störer des Systems empfunden.
  3. Weil wir alle gleich sind, hat niemand eine eigene Position.
    Rollenmodelle (Vater, Mutter, Kinder oder Führungskraft, Vorstand, Mitarbeitende) sind festgelegt und werden kaum bis gar nicht in Frage gestellt. Veränderungen werden als Bedrohung empfunden und im System ausgeglichen.
  4. Es darf sich nichts verändern. bei uns bleibt alles wie es ist.
    Festgelegte Rollen werden nach innen und außen verteidigt, deshalb gibt es Familien- und Organisationslegenden.
  5. Bei uns gibt es keine Schwierigkeiten. Offene Auseinandersetzungen sind zu vermeiden.
    Nach außen wird oft betont, dass jeder seine eigene Meinung haben darf; tatsächlich ist es aber anders und Abweichler werden "bestraft".
  6. Niemand verlässt das System
    Eines Tages wird alles gut. Die Aussicht hierauf ist so verlockend, dass niemand das System verlässt.
  7. Die Klärung von Konflikten ist nicht möglich. deshalb leben wir weiterhin in einer harmonischen Familie oder Organisation.
    Die Regel, dass sich nichts verändern darf, wirkt so stark, dass der Glaube an die harmonische Organisation aufrecht erhalten wird. In Organisationen, in denen oft geäußert wird, dass sich alle wie in einer Familie fühlen, ist besonders aufmerksam hinzuhören und hinzuschauen.

Doppelwirklichkeiten in Organisationen

Ein häufig anzutreffendes Thema sind z.B. Normwidersprüche
( Neuberger 1991), die immer dann auftreten, wenn im Regelwerk des Unternehmens Verhalten angeordnet wird, das nur freiwillig erfolgen kann. Eine Verordnung zur Fürsorglichkeit in sozialen Berufen ist paradox, da diese durch den Einzelnen nur freiwillig entfaltet werden kann.

Ein weiteres Beispiel: In vielen Finanzdienstleistungsunternehmen und Banken wird bereichsübergreifendes Arbeiten gefordert und in Unternehmenswerten verankert.

Gleichzeitig sind Karriereziele und das Entlohnungssystem zum Teil noch auf Einzelleistung ausgelegt.

Doppelte Wirklichkeiten spielen sich z.B. in internationalen Unternehmen ab, deren Headoffice z.B. in Frankreich weltweit gültige Regeln für alle Tochterunternehmen erlässt. Gleichzeitig halten sich die regionalen Geschäftsführer*innen an Länderspezifika und Gegebenheiten in Russland, den USA, Italien oder andere. Das heisst, in internationalen Konzernen existieren oft offizielle und inoffizielle Regeln, und
dadurch für alle offensichtliche Doppelwirklichkeiten. 

Astrid Schreyögg hat sich mit Doppelspitzen auseinandergesetzt.

Mitarbeitenden und Kunden stehen dabei zwei Personen auf gleicher hierarchischer Ebene gegenüber.
Auch hier entstehen oft Doppelwirklichkeiten: formal sind beide hierarchisch gleich und haben dieselbe Entscheidungsbefugnis und Verantwortung. Tatsächlich ist es oft so, dass aufgrund individueller Dispositionen und Charaktere oder aufgrund unterschiedlicher Etablierungsgrade und Erfahrungen (eine Person ist wesentlich länger im Amt als eine andere und leitet daraus mehr Machtanspruch ab oder ist besser vernetzt) eine Person trotz formaler Gleichheit informell die Vorherrschaft hat. Mitarbeitende und Kunden sehen dies, in der Organisation und im Top Management wird das aber geleugnet.


Familienunternehmen

In einem Familienunternehmen ist die Trennung zwischen dem Familiensystem und dem Unternehmen nicht gegeben, so dass sich widersprechende Regeln leicht in die Quere kommen können.

Der Patriarch oder die Patriarchin trägt väterliche oder mütterliche Züge und überträgt diese auf das Unternehmen. Die Doppelidentität weiterer Familienmitglieder im Unternehmen ( Führungskraft oder Mitarbeitender) birgt insbesondere in der Kommunikation hohes Konfliktpotential. Auch für Mitarbeitende,
die sich außerhalb des Familiensystems befinden, ist mitunter nicht einfach zu erkennen, wer nun die finale Entscheidung trifft oder welche Regel gilt, die des Seniors oder Juniors.

Gerade Söhne und Töchter, die als potentielle Nachfolger*in eines Elternteils ausersehen sind, geraten oftmals in Widersprüche und Paradoxien und sind sich widersprechenden Handlungsaufforderungen und Erwartungen ausgesetzt von "das kannst Du ja wohl allein entscheiden" bis "da hättest Du mal fragen können, denn ich hätte das anders entschieden".


Wie gehen Mitarbeitende mit Doppelwirklichkeiten um?

Oftmals sind Firmenideologien und innerbetriebliche Strukturen nicht aufeinander abgestimmt.
Erwartet wird jedoch, dass Mitarbeitende mit Mehrdeutigkeit und beiden Wirklichkeiten umgehen können.

Sie sollen jeweils wissen, was gerade gilt und in welcher Wirklichkeit sie sich befinden, ohne dass dies ausgesprochen wird. Diejenigen, die stabil sind, wissen sich intelligent durchzuschlängeln und werden oft Karriere machen.
Diejenigen, die weniger stabil sind und in ihrem Familiensystem oder in der vorherigen Organisation schlechte Erfahrungen mit Doppelwirklichkeiten gemacht haben, werden entweder scheitern oder sich opportunistisch wie ein Fähnchen im Wind der jeweils gerade geltenden Wirklichkeit anpassen.

Diejenigen, die ihre Wahrnehmung von widersprüchlichen Regeln, Doppelwirklichkeiten und Paradoxien ansprechen, werden je nach Organisationsreife abgestossen oder verlassen das Unternehmen aus eigenem Antrieb. In reifen Organisationen braucht es gerade solche Menschen mit hoher innerer Unabhängigkeit, die mit einem/r Unterstützer*in in der Geschäftsleitung Veränderungen durch Konfrontation und Vorbildfunktion bewirken können.

Sie möchten mehr dazu wissen oder sich zu Ihrer persönlichen Situation austauschen?

Sprechen Sie mich gern an.