Ich erhielt vor einigen Wochen die Email eines Unternehmers mit der Bitte, sich zeitnah auszutauschen, er wisse nicht mehr, wo er stehe, privat und als Unternehmer.
Aus meinem Netzwerk war ich aufgrund meiner ganzheitlichen Expertise (unternehmerisch und persönlich) empfohlen worden. Die Anfrage kam dringlich rüber, so dass ich per Email kurzfristige Terminvorschläge für ein Telefonat oder ein persönliches Kennenlernen machte.
Nachdem ich 8 Tage keine Antwort erhielt, nahm ich telefonisch Kontakt auf: das Firmen-Telefon war bereits abgestellt, wie mir die freundliche Ansagerin der Telekom bestätigte.
Ich erkundigte mich gelegentlich beim Empfehlungsgeber, der mir sagte, es sähe nicht gut aus: das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet und der Geschäftsführer einen Zusammenbruch erlitten.
Dies erinnerte mich an zwei Erlebnisse im letzten Jahr:
Ich führte ein Erstgespräch mit dem Abteilungsleiter einer Spedition Herrn H., (47) der bereits beim Kennenlernen sehr verzweifelt war.
Er schilderte, dass er drauf und dran sei, seinen Job zu verlieren. Er hätte eine verhaltensbedingte Abmahnung erhalten, da er sich in Konflikten nicht immer angemessen benommen habe. Auf meine Fragen erfuhr ich, dass es bereits die zweite Abmahnung in derselben Sache war: Herr H. hatte einige seiner Mitarbeiterinnen wiederholt angeschrien und beschimpft. Seine Führungskraft war mit ihm bereits seit einem Jahr diesbezüglich in Gesprächen, bevor er die erste Abmahnung erhielt.
Herr H. hatte keine Erklärung dafür, wieso ihm das immer wieder passiert. Wir vereinbarten einen ersten Termin, in welchem wir das konkrete Ziel des Coachings erarbeiten wollten.
Kurz vor dem ersten Termin rief Herr H. mich an: er hatte nach einem neuen Vorfall die fristlose Kündigung erhalten. Er würde sich wieder melden, aufgrund seiner aktuellen Situation hätte er keinen finanziellen Spielraum für ein Coaching.
B., eine Consultant einer großen Unternehmensberatung (39 ) wünschte ein Coaching, da sie jetzt zum dritten Mal bei der Beförderung übergangen und einen Mann als Chef vor die Nase gesetzt bekommen hat, der erst zwei oder drei Jahre im Unternehmen tätig sei. Sie selbst sei seit 12 Jahren als Consultant dabei und würde immer interessante Aufträge z.B. in Tokyo oder Los Angeles erhalten. Bei der Beförderung würde man sie trotz guter Feedbacks und Beurteilungen regelmäßig auf die nächste Gelegenheit vertrösten.
Auf meine Frage, warum sie gerade jetzt zu mir kommt und nicht schon früher, sagte sie, dass sie es satt hätte, sich vertrösten zu lassen und im Coaching Optionen und Schritte erarbeiten wolle, wie es ihr besser gelingt, sich im Unternehmen zu positionieren.
Im Coaching-Prozess haben wir ihr Thema aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.
Sie hat dann die Entscheidung getroffen, dass es Zeit für eine Veränderung und einen Unternehmenswechsel sei. Hiermit hat sich das Coachingziel im Prozess geändert: von einer ursprünglichen Reflexion und Stärkung der eigenen Positionierung hin zu einer Karriere- und Bewerbungsberatung, in welcher wir die für sie beste und passende Bewerbungsstrategie erarbeitet und die Bewerbungsgespräche simuliert haben. Im Ergebnis ist B. der Wechsel in eine Senior-Consultant-Position gelungen, in der sie zunächst eine stv. Abteilungsleitung ausübt mit der vertraglichen Zusage, ihren jetzigen Abteilungsleiter im Zuge einer geplanten Rochade zu einem konkreten Termin nachzufolgen.

Was haben die geschilderten Fälle gemeinsam:
Die konkrete Bereitschaft, sich Unterstützung zu holen, kam recht spät.
Im Falle des Unternehmers war es kurz nach zwölf, so dass ein Coaching vermutlich nur noch die persönliche Stabilisierung in der Insolvenz-Situation hätte leisten können.
Auch im Fall von Herrn H. wäre ein viel früheres Hinzuziehen eines Coaches oder Beraters hilfreich gewesen und hätte dazu beitragen können, die eskalierende Situation und den Verlust des Arbeitsplatzes zu verhindern, wenn Herr H. die Ursachen für seine Ausbrüche bewusst geworden wären und er neue Verhaltensoptionen hätte lernen und ausprobieren können.
Die Unternehmensberaterin B. hat lange abgewartet. Ein guter Zeitpunkt wäre nach der ersten entgangenen Beförderung, spätestens aber beim zweiten Mal gewesen.
B. hat lange ausgehalten und sich vertrösten lassen, ohne die Situation aktiv anzugehen und ihren Chef mit ihren Zielen und Wünschen zu konfrontieren. Oder klar zu erkennen, dass sie möglicherweise in dieser Unternehmenskultur auch beim nächsten Mal übergangen werden würde.
Ich stelle immer wieder fest, dass in manchen Konstellationen der Leidensdruck sehr hoch sein muss, bevor ein Klient oder eine Klientin sich Unterstützung holt.
Dies hat zwei wesentliche Gründe:
1. Wir Menschen neigen dazu, Probleme, die wir entweder intuitiv, diffus oder deutlich wahrnehmen, zu verdrängen oder ihnen auszuweichen. Das nennt sich
auch die „Vogel-Strauß-Taktik“ oder englisch „Ostrich Effect“.
Dass das in den wenigsten Fällen gelingt, liegt auf der Hand.
Zwar wird sich das Problem, dass heute schlechtes Wetter ist, obwohl Sie eine Grillparty planen, früher oder später in Luft auflösen. Ein Konflikt im
beruflichen Umfeld wird meist nur schlimmer, je länger Sie ihn ignorieren.
2. Menschen empfinden es als Niederlage oder als beschämend, sich Hilfe zu holen. Einen Coach? Brauche ich nicht. Das wird schon irgendwie hinhauen. Es als natürlich anzusehen, sich in konkreten Situationen einen Experten zur Seite zu holen, wie zum Beispiel im Sport beim Personal Training oder in der Zusammenstellung einer Küche oder beim Kauf einer Immobilie, scheint schwierig zu sein.
„Typische“ Probleme im Arbeitsleben, die gern übersehen werden, sind zum Beispiel:
1. Sie sind zu nett. Sie lassen sich gern abspeisen, grenzen sich zu wenig ab oder fordern für sich selbst zu wenig ein. Auf Konflikte reagieren Sie mit Schweigen und Rückzug, ohne sich mal klar und deutlich zu positionieren und sich so Respekt zu verschaffen.
2. Sie kümmern sich um die falschen Probleme, um die kleinen Symptome und Neben-kriegsschauplätze, weil Sie sich nicht trauen,
das Kern-Problem in Angriff zu nehmen.
Oder nicht wissen, wie.
Und es gibt einen weiteren Grund:
3. Sie wollen Ihr Problem nicht wahr haben und ignorieren es so lange, bis es auch in einem Feuerwehr-Termin nicht mehr zu lösen ist.
Zur Abgrenzung nenne ich hier noch einmal die gängigen Möglichkeiten, sich befristet Unterstützung zu holen:
Coaching als ein unterstützendes Element der Persönlichkeitsentwicklung ist in einigen Unternehmen zumindest für Führungskräfte und das Management etabliert.
Im deutschen Sprachgebrauch und in den sozialen Netzwerken werden unterschiedliche Bedeutungen für Coaching, Beratung und Supervision verwandt.
Die Fragen „was ist eigentlich was“ und „wann ist was sinnvoll und nützlich“, werden hin und wieder in Erstgesprächen an mich herangetragen.
Wer die Begriffe googelt, wird zu denselben Begriffen unterschiedliche Definitionen finden.
Deshalb erläutere ich jeweils anhand eines Beispiels.

Coaching ist die zeitlich befristete Unterstützung zur Selbsthilfe. Im Coaching werden die Ressourcen des Klienten aktiviert, Situationen und Verhalten reflektiert und zu einem Thema Lösungen und alternative Handlungsoptionen erarbeitet und trainiert, deren Ausprobieren wiederum reflektiert wird.
Der Coach begleitet einen regelmäßigen Entwicklungsprozess, der je nach Anliegen und Auftrag wenige Monate bis zu ein bis zwei Jahren dauern kann.
Oft ist die Termin-Frequenz zu Beginn dichter und erweitert sich mit fortschreitendem Entwicklungsprozess.
Coaching wird z.B. eingesetzt,
-
im Führungskontext, wenn nach einer Beförderung ein neues Rollenverständnis,
eine neue Haltung oder neue Verhaltensweisen entwickelt und trainiert werden. - um konkrete Skills auf- und auszubauen
- zur Klärung oder Standortbestimmung
- in konkreten festgefahren erscheinenden Situationen, die Begleitung erfordern
- zur Persönlichkeitsentwicklung

Auch eine Beratung ist zeitlich befristet oder einmalig. Der Berater gibt fachliche und methodische Impulse in wesentlich stärkeren Umfang als der Coach.
Beispiele sind z.B
- die Karriereberatung, wenn der Klient seine Kompetenzen und Entwicklungsfelder schärfen will
- Beratung im Bewerbungsprozess vom Festlegen der Bewerbungsstrategie bis zum Erstellen aussagefähiger Bewerbungsunterlagen und der Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch oder Auswahlverfahren
- Beratung zu bestimmten strategischen oder unternehmerischen Fragestellungen
- Beratung zur Führungskräfteentwicklung
Bei der Supervision werden die Kompetenzen des Klienten oder der Klientin durch Reflexion konkreter Fälle gefestigt und er/sie erhält Impulse für die weitere Entwicklung.
Es werden konkrete Fälle aus dem Führungs- oder Beratungsalltag reflektiert und zuweilen auch entlastend im Sparring besprochen, ohne dass dem ein Coaching- / oder Beratungsprozess zugrunde liegt. Der Klient entwickelt sich durch Supervision weiter, in dem er seine Perspektiven und Handlungsoptionen erweitert. Eine Persönlichkeitsentwicklung wäre jedoch im Coaching anzusiedeln. Manchmal entsteht aus einer Supervision ein Coaching- Prozess, wenn die Klientin an ganz bestimmten Themen arbeiten will.
Einzel-Supervisionen dauern meistens je 1 Stunde.
Gruppen-Supervisionen können über mehrere Stunden oder einen Tag dauern, der Vorteil ist, dass die Teilnehmer sich untereinander austauschen und von den Fällen und Themen der anderen lernen können.
Sich für eine konkrete Fragestellung einen Coach oder Berater an die Seite zu holen, ruft in Deutschland bei vielen Menschen immer noch den Gedanken an Scheitern hervor. Auch das ist ein Grund dafür, dass manche Klienten erst kurz nach 12 kommen.
Dabei ist zu bedenken: solange ein Thema klein ist, ist oft mit 2-5 Sitzungen eine Lösung möglich.
Top Manager haben entweder ihren Coach, den sie punktuell immer wieder hinzuziehen, oder sie holen sich anlassbezogen einen Berater mit Expertise für bestimmte Themen zur Seite.
Nicht nur für Führungskräfte interessant, auch für Spezialisten und Berufstätige in Schlüsselfunktionen. Insofern mein Appell an Führungskräfte und Personalentwickler: schaut Euch in Eurem Team um und gewährt dem ein oder anderen Mitarbeiter ein Coaching, wenn es schwierig scheint oder zur Motivation. Denn neue Mitarbeiter zu finden und einzuarbeiten, ist oft noch herausfordernder.
Wenn Sie niemanden kennen, sprechen Sie mich gern an. Für den Fall, dass ich für das konkrete Thema nicht die richtige bin, kenne ich in meinem Netzwerk kompetente Berater und Coaches, die ich auch empfehle.
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